Bereits in der Grundschule, wie hier in der Bad Nauheimer Sophie-Scholl-Schule, sollen alle Kinder gemeinsam unterrichtet werden. Archivfoto: Corinna Weigelt
Seit 2013 ist der Wetteraukreis Modellregion für die Integration behinderter Kinder in die Regelschulen. Insgesamt gibt es neun solcher Regionen in Hessen. Der Versuch endet in diesem Sommer. Gestern zog das Staatliche Schulamt für den Wetterau- und Hochtaunuskreis Bilanz dieser Probephase. Das Fazit der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) fällt anders aus.
Bad Vilbel.
„Inklusion ist schön“, sagen Schulamt, Landes- und Kreisregierung, „sie kostet aber viel Arbeit“, ergänzt die Lehrergewerkschaft GEW. In der Karbener Kurt-Schumacher-Schule wird unterschiedlich Bilanz der Integrations-Probephase gezogen. „Immer mehr Eltern möchten, dass ihr Kind trotz Beeinträchtigung oder Behinderung an einer regulären Grundschule unterrichtet wird. Dem wollen wir so weit wie möglich nachkommen“, sagte der damalige Wetterauer Landrat Joachim Arnold (SPD), als er den Vertrag über die Modellregion mit dem Land Hessen unterzeichnete. In der Folge wurden von den fünf Wetterauer Förderschulen für Lernhilfe drei geschlossen: die Brunnenschule Bad Vilbel, die Gabriel-Biel-Schule in Butzbach und die Gudrun-Pausewang-Schule in Nidda. Erhalten blieben die Helmut-von-Bracken-Schule in Friedberg und die Erich-Kästner-Schule in Ortenberg. Die Inklusion soll aber nicht nur für Kinder von Lernförderschulen gelten, sondern für alle Kinder, auch wenn sie körperbehindert sind.
Kritik der Lehrer
„Die Eltern haben die Wahl und wählen überwiegend die Regelschule“, stellt der Wetterauer Schuldezernent Jan Weckler (CDU) fest. Heute besuchen über 500 ehemalige Förderschüler die Regelschulen, nur noch 150 Kinder sind in den beiden verbliebenen Förderschulen untergebracht. Die drei geschlossenen Förderschulen wurden zu Beratungs- und Förderzentren (BFZ) umgewandelt. Von hier aus gehen die Förderschullehrkräfte an die Regelschulen, um die Kollegen dort bei der Inklusion zu unterstützen.
„Wir haben sehr, sehr viel daraus gelernt“, blickt Hessens Kulturminister Alexander Lorz (CDU) auf die knapp fünf Jahre „Modellregion inklusive Bildung“ zurück. In der Wetterau könnten alle Elternwünsche erfüllt werden. Mit einer Quote von nur zwei Prozent der Schüler an Förderschulen liegt die Wetterau deutlich unter der Landesquote von vier Prozent.
Die Inklusion gehe zulasten der Lehrer an den Regelschulen, kritisiert dagegen der Vorsitzende des GEW-Kreisverbandes Friedberg, Peter Zeichner, im Gespräch mit dieser Zeitung. Die Grundschulen hätten das zuerst bemerkt. Im vergangenen Jahr hatten sich Grundschullehrer beschwert, dass die Inklusion über ihre Kräfte gehe. Sie hätten ohnehin schon viel mehr Aufgaben zu bewältigen als früher, nun komme noch die Inklusion dazu.
Oft gebe es für die Lehrer an den Regelschulen nur Beratung durch die BFZ zur Inklusion, diese Beratung komme zur Arbeitszeit dazu, stellt Zeichner fest. Danach stünden sie mit den Kindern, die Förderungsbedarf haben, in den Klassen alleine da. Bei schwierigen Fällen gebe es Doppelbesetzungen, räumt der GEW-Vorsitzende ein. Das reiche jedoch nicht aus. Es müsse die Regel sein, dass die Lehrer bei der Inklusion im Unterricht durch eine Förderschulkraft unterstützt werden. Die „Modellregion inklusive Bildung“ sei ein Euphemismus, meint Zeichner, also eine beschönigende Umschreibung.
Immerhin sind die Teilhabeassistenten deutlich aufgestockt worden. Das sind Kräfte, die die Schüler mit Behinderungen durch den Schulalltag, einschließlich Schulweg, begleiten. Sie helfen beim Toilettengang, beim An- und Auskleiden in der Schule, bei der Orientierung und geben auch Hilfestellung im Unterricht.
„Die Eltern haben das Recht, eine Teilhabeassistenz zu bekommen“, sagt auch Sozialdezernentin Stephanie Becker-Bösch (SPD). Von 2,5 Millionen Euro auf 5,1 Millionen Euro sind die Ausgaben des Kreises für Teilhabeassistenten in den vergangenen fünf Jahren gestiegen, berichtete Simone Schestakoff, Leiterin des Fachbereichs Soziales des Kreises. Und die Kooperationsstelle Inklusion, die die Förderschullehrkräfte unterstützt, werde erhalten bleiben. Der Auftrag werde gerade ausgeschrieben.
Hilfe im Alltag
Um die Regelschule für die Inklusion herzurichten hat der Wetteraukreis laut Frank Neubauer, Leiter des Fachbereichs Schule des Kreises, 1,6 Millionen Euro ausgegeben. Fahrstühle wurden damit allerdings nicht installiert. Bis die eingebaut worden wären, seien die Schüler wieder von der Schule weg gewesen, sagte er. Die beeinträchtigten Schüler seien so auf die Mithilfe der anderen Schüler angewiesen gewesen. Das sei gelebte Inklusion.
Einig waren sich die Redner der Veranstaltung in Karben, dass es weiterhin Förderschulen geben müsse. „Es muss auch Lösungen für Schüler geben, die über Tische und Bänke gehen“, sagte Schuldezernent Weckler. „Wir werden auf absehbare Zeit auch unser Förderschulsystem erhalten müssen, um über optimale Förderformen zu verfügen“, sagte Kultusminister Lorz.
Lesen Sie hierzu auch den Artikel in Der neue Landbote vom 20.02.2018.