Frankfurter Neue Presse vom 23.03.2018
Besonderes Pilotprojekt - Die Schüler zum Nachdenken anregen
23.03.2018 Von ALEXANDER SEIPP Flucht, Extremismus, Identität: Das sind Themen, die viele Schüler beschäftigen, aber in der Schule oft zu kurz kommen. An der Karbener Kurt-Schumacher-Schule (KSS) ist dazu nun ein Pilotprojekt an den Start gegangen. Die Ergebnisse gab es am Mittwochabend im Jugend- und Kulturzentrum (Jukuz) zu sehen.
„Obwohl es ein so ernstes Thema war, hat es uns viel Spaß gemacht“, berichtet Gabi aus der neunten Klasse der Kurt-Schumacher-Schule von der Aktion. „Viele von uns sind von Themen wie Rassismus, Extremismus und Flucht betroffen, deshalb fand ich es toll, dass die Schule uns das ermöglicht hat. So wurden gute Denkanstöße gegeben, die mich auch danach noch beschäftigt haben“, lobt sie.
In der Scheune des Jugend- und Kulturzentrums sind die von den Schülern vorbereiteten Stellwände mit Schaubildern aufgestellt. Mitschüler, Lehrer und Eltern waren eingeladen, sich die Ergebnisse der Workshops anzuschauen.
Gabi hat mit ihrer Klasse ein Schaubild zur Radikalisierung vorbereitet, auf dem die unterschiedlichen Stadien in den drei Arten des Extremismus, rechts, links und religiös, gezeigt werden. „Das fängt klein an mit persönlichen Konflikten, wie der Trennung der Eltern“, erklärt sie das Schaubild. „Dann sucht man sich neue Freunde, die Radikalisierung nimmt immer weiter zu, bis Autos zerkratzt werden oder sogar in den Dschihad gezogen wird.“
Attraktiv für Jugendliche
„Die Wege in den Extremismus sind trotz der großen Unterschiede bei der Weltanschauung relativ ähnlich“, weiß auch Mehmet Akpinar vom „Violence Prevention Network“ (VPN), das die Workshops an der KSS mit durchgeführt hat. „Geborgenheit in einer Gruppe zu suchen ist oft der erste Schritt, da spielen Fragen der Weltanschauung oft noch gar keine Rolle. Die kommen dann erst schleichend dazu. Der Extremismus bietet dabei oft einfache Antworten auf komplizierte Fragen, daher ist er ja so attraktiv für Jugendliche. Er ist sozusagen eine Abkürzung.“
Drei Tage lang wurden die Themen Identität, Flucht und Radikalisierung intensiv besprochen, der reguläre Unterricht fiel für die teilnehmenden Klassen der KSS an diesen Tagen aus. Stattdessen sollten die Schüler interkulturelle Kompetenzen und die Toleranz für andere Weltanschauungen lernen und sich mit ihren Mitschülern austauschen.
„Mitgemacht haben alle neunten Klassen, Gymnasial-, Real- und Hauptschulzweig: 180 Schüler“, freut sich Vincenzo Caputo, Vertrauenslehrer der KSS. „Dabei sind natürlich ganz unterschiedliche Ergebnisse herausgekommen.“
Er erzählt: „In den Hauptschulklassen haben wir zum Beispiel viele Flüchtlinge, die musste man gar nicht viel anleiten, sondern ihnen nur den Raum zum Austausch mit den anderen bieten.“ Das habe dann auch das Interesse der anderen geweckt. „Es ist etwas ganz anderes, aus erster Hand Erlebnisse von der Flucht berichtet zu bekommen, als das einfach nur im Fernsehen zu sehen. Viele Schüler waren wirklich betroffen.“
Jeder macht mit
Das sehen auch Robert und Majid so, die eine Stellwand zum Thema Flucht vorbereitet haben. „Das regt dann schon an, darüber nachzudenken, was wir so für Probleme haben. Manchmal haben wir ja keine Lust, in die Schule zu gehen, aber viele wären froh, wenn sie das überhaupt könnten“, sind sich beide einig. Gut gefallen hat allen die Umsetzung der Workshops. „Es wurde nicht langweilig“, sagt Gabi. „Mit Spielen war das Ganze irgendwie trotzdem immer spannend und abwechslungsreich, auch wenn das Thema manchmal träge war. Außerdem hat jeder mitgemacht, nicht wie sonst manchmal im normalen Unterricht. Das war auch für das Zusammengehörigkeitsgefühl der Klasse toll.“ Auch die mediale Begleitung stieß bei den Jugendlichen auf große Resonanz. „Texte lesen ist manchmal ziemlich langweilig. Das Ganze in einem Film zu sehen ist einfacher, so nimmt man mehr mit, da man Komplexes einfacher verstehen kann“, meint Robert.
Die Aktion ist auch bei der Schule gut angekommen. „Für uns war die Unterstützung durch das ,Violence Prevention Network’ wunderbar. Wir sind in Karben zwar gut aufgestellt, doch so ein Angebot könnten wir in dem Umfang gar nicht leisten. Dafür sind wir auch fachlich gar nicht tief genug in der Materie drin“, meint Annette Kehrbaum von der Schulsozialarbeit. Begeistert ist auch die Schulleitung: „Das war ein tolles Projekt. Der offene Umgang der Schüler während der Workshops war schön zu beobachten, und es passt toll zur KSS als Schule mit Courage und ohne Rassismus“, sagt Schulleiterin Ursula Hebel-Zipper. „Daher würden wir uns freuen, wenn es im nächsten Jahr fortgeführt werden könnte.“ Ein Extremismusproblem gibt es an der KSS nicht, weiß Sozialarbeiterin Kehrbaum. „Solche Veranstaltungen sind präventiv, damit die Schüler sich schon frühzeitig mit den Themen beschäftigen, sie sollen einen Denkanstoß geben.“