Karben (jsl). Dieser November scheint schwere Tage und Wochen bereitzuhalten. Die zentrale Gedenkveranstaltung zum Volkstrauertag in Karben am Sonntag gehörte dazu. Unter reger Anteilnahme der Bevölkerung fand zunächst vor der Trauerhalle des Klein-Karbener Waldfriedhofs ein Gottesdienst statt. Danach wurde auf dem dahinter liegenden Friedenswald-Gelände an drei getötete Jungen aus Okarben erinnert, die 1946 durch die Explosion einer Mine ums Leben kamen.
Sie gehören zu den 570 Opfern aus Karben, deren Namen auf einer Gedenkplatte im Zentrum des Platzes zu lesen sind.
Wie schon bei der Einweihung des Friedenswaldes vor zwei Jahren verlasen Schülerinnen und Schüler der Kurt-Schumacher-Schule abwechselnd alle Namen. Schier endlos erschien die Liste der umgekommenen Soldaten, jüdischen Mitbürger und ziviler Opfer. Manche Familien hatten kaum vorstellbares Leid zu ertragen. 18, 19, 20, 21 Jahre - das Alter der gefallenen Söhne macht deutlich, dass sie noch ihr ganzes Leben vor sich hatten. Beklemmend ist das Schicksal der jüdischen Familien, die bis Kriegsende zum größten Teil ausgelöscht wurden. Fast zwei Reihen auf der Gedenkplatte nehmen allein die Grünebaums aus Groß-Karben ein. Und wie groß muss erst die Trauer bei den Eltern und Verwandten der drei Okarbener Kinder gewesen sein?
Geschehnisse bleiben lebendig
Eleonore Puchtinger, eine Verwandte des getöteten Gundolf Kallenbach, enthüllte gemeinsam mit dem Zeitzeugen Heinz Jörg eine Gedenktafel über das Unglück. »Die Geschehnisse vom 14. April 1946 sind in unserer Familie noch immer lebendig«, erzählte die Ehefrau des früheren Karbener Stadtrats Puchtinger. Sie habe alles aus erster Hand erfahren. Ihr Wissen vom Unglückshergang sei ein anderes als das bisher bekannte. Allerdings wolle sie die Sache auf sich beruhen lassen. Damit ging sie mit den Worten des Mit-Organisators Tillmann Frommhold von der evangelischen Gesamtkirchengemeinde Karben konform, der es als nicht wichtig erachtete, wie die Jungen letztlich zu Tode gekommen seien.
Auf der gegenüberliegenden Seite des Friedenswaldes wurde nachträglich eine weitere Gedenktafel vorgestellt. Wegen der pandemiebedingten Absage der Veranstaltung im Vorjahr hatte sich ihre Enthüllung verschoben. Informiert wird über das im Jahr 2019 erzählte Schicksal der Klein-Karbener Familie Schneider. Neu hinzugekommen ist außerdem eine didaktische Tafel am Eingang zum Thema »Grenzüberschreitung«. Bürgermeister Guido Rahn (CDU) und Stefan Kuger erklärten sie.
Bis 2025, wenn sich das Kriegsende zum 80. Mal jährt, sollen an den sechs vom Zentrum ausgehenden Wegen weitere Tafeln stehen. Die Bäumchen haben bis dahin noch Zeit, zu einem stattlichen kleinen Wald heranzuwachsen. »Wir haben extra mehr angepflanzt, weil man immer damit rechnen muss, dass welche kaputtgehen«, erklärt Rahn. »Das Projekt wächst in die Zukunft. Irgendwann werden wir an einen Punkt kommen, wo es keine Zeitzeugen mehr gibt. Dann ist es gut, wenn wir einen solchen Ort der Erinnerung in Karben haben.«
Viele bekannte Familiennamen
Ein Lichtblick trotz aller Trübsal waren die Schülerinnen und Schüler der KSS. Ohne zu zögern hatten sich Jakob, Yassine, Julian, Alex, Lilly, Thalia, Simon und Samuel bereit erklärt, die Namen zu verlesen. Als geschichtlich und politisch interessierter Mensch könne man nicht einfach darüber hinweggehen, meinte Simon. Und Thalia sagte: »Es sind ja viele Familiennamen dabei, die wir heute noch in Karben kennen.« Erzählungen von Krieg und Vertreibung innerhalb der eigenen Familie hätten sie zusätzlich für das Thema sensibilisiert.
Lesen Sie den Originalartikel von Jürgen Schenk aus der Wetterauer Zeitung vom 15.11.2021 hier.