Navigations Button

Aktuelles

21. März 2024

Presseartikel: Klassiker mit aktuellen Bezügen

 

Für die eiskalte empathielose Wissenschaftlerin und Ärztin Franziska (Ella Johnson) ist Franz Woyzeck (Tristan Carbon) nur ein Versuchsobjekt. © Christine Fauerbach

 

Große Dramatik auf der Schulbühne: Die Theater-AG der Karbener Kurt-Schumacher-Schule, »Die Mänaden«, zeigt eine zeitgemäße wie beeindruckende Fassung eines abiturrelevanten Klassikers. Die Schülerinnen und Schüler brillieren mit »Woyzeck - Schauspiel nach Georg Büchner« in einer Bearbeitung von Deutschlehrer Thomas Pechar.

W as und wer wäre Woyzeck heute? Diese Frage stellte und beantwortete Thomas Pechar, Gründer, Leiter und Regisseur der Theater-AG der Kurt-Schumacher-Schule (KSS) »Die Mänaden« mit seiner Bearbeitung des Klassikers. Er versetzte Büchners posthum 1879 im Vormärz veröffentlichtes Fragment eines Dramas, das der 23-jährige Autor kurz vor seinem Tod 1837 verfasste, in das Gegenwartsdeutschland. Beim Übertragen von Büchners Text in die Gegenwart achtete Thomas Pechar vor allem darauf, den Sinn der Aussagen und der Kurzszenen zu erfassen und in äquivalenter Form neu zu formulieren. »Rund ein Drittel von Büchners Text wurde komplett beibehalten, ein Drittel modernisiert und ein Drittel ist eine interpretierende Überschreibung des Originals«, sagt Pechar. Er habe nur eine Kurzszene komplett neu erfunden. Am Inhalt führte er einige Änderungen durch.

Friedrich Johann Franz Woyzeck (Tristan Carbon) ist wie in Büchners Fassung arm, psychisch krank, misstrauisch und eifersüchtig, leidet unter seinem niedrigen gesellschaftlichen Status. Woyzeck findet sich nach einem traumatisch erlebten Einsatz als Bundeswehrsoldat in Afghanistan im Alltag nur noch schwer zurecht. Er versucht, trotz seiner psychischen Erkrankung verzweifelt sein Gehalt aufzubessern, um seine hübsche Freundin Marie Zickwolf (Annika Freund) und ihren gemeinsamen Sohn Christian zu versorgen. Er schlägt sich mit Gelegenheitsjobs als Kloreiniger und Türsteher in der Disco Burghain von Clubbesitzerin Frau Brigitte (Maja Götz) durch. Die Security-Leute Alpha (Moritz Sammet) und Andres (Yaron Römer), der mit ihm in Afghanistan war, demütigen ihn. Die Clubbesitzerin verkörpert in der KSS-Inszenierung den Hauptmann, Woyzecks Vorgesetzten. »Die Sätze, die Frau Brigitte spricht, sind überwiegend Sätze, die bei Büchner vom Hauptmann gesprochen werden«, informiert Pechar.

Woyzeck ist ein Getriebener

Zudem ruiniert Woyzeck aus finanzieller Not seine Gesundheit endgültig als Versuchsobjekt. Die skrupellose und menschenverachtende Ärztin (Ella Johnson) führt an ihm zweifelhafte medizinische Versuche mit einem Pulver durch. Durch die Einnahme bekommt Woyzeck starke Halluzinationen und nervliche Zuckungen. Dafür zahlt ihm die Ärztin, die ihn für sein uneheliches Kind und seine Armut verachtet, erst fünf, dann sieben Euro pro Tag.

Im Laufe der Handlung spitzt sich Woyzecks prekäre finanzielle und gesundheitliche Lage zu. Woyzeck ist ein Getriebener und Gepeinigter, der in einem Albtraum gefangen ist. Er liebt Marie. Diese Liebe ist sein Halt im Leben. Doch die naive Marie träumt von einem glamouröseren Leben, vom sozialen Aufstieg. Mit Nachbarin Margret (Celine Meiser) sieht sie sich im Internet Fotos von Männern und Kontaktanzeigen an. Sie entgleitet Woyzeck, lässt sich auf eine Affäre mit dem selbstbewussten oberflächlichen Frauen- und Maulhelden DJ T-Major (verkörpert von Karim Oukail) ein.

Als Woyzeck Marie mit dem Discjockey im Club Burghain auf einer Motto-Party tanzen sieht, naht die Katastrophe. Mit seinem letzten Geld erwirbt Woyzeck ein Messer von Alpha und ersticht Marie brutal.

In weiteren Rollen: auf der Kerb Marktschreierin (Liu Kornhuber), Clubbesucherin und Armdrückerin Käthe (Sahamma Heba Tul Baseet) und ihr Herausforderer (Nathan Theiler). Weitere Akteurinnen sind die Clubbesucherin Chantal und Maries Großmutter (Nisa Danis) sowie Clubbesucherin (Len Müller).

Dem »Mänaden«-Ensemble gebührt ein großes Kompliment. Alle Darsteller verkörperten ihre Rollen glaubwürdig und mit großer kreativer Spielfreude. Sie zeigten, dass Georg Büchners Klassiker auch heute noch hochaktuell ist.

Zum Erfolg des vom Publikum mit stürmischem Applaus gefeierten Stückes trugen hinter den Kulissen Souffleuse Naomi Müller, Techniker Niklas Zeller, die Maskenbildnerinnen Annabelle Flora und Charlotte Stotz sowie Musikerin Marisa bei. Für Geräusche waren Musiklehrer Yorck Pretot und Mia Dettingsmejer zuständig.

Das Fragmentarische des Stücks wurde durch die sparsame Kulisse betont. Situationen blitzten auf, Geräusche sorgen für Gänsehaut, Musik für Partystimmung und Videoclips für Schlaglichter. An der Seite von Thomas Pechar war für die Regie die professionelle Bühnenschauspielerin Sandra Förster zuständig. Sie ist eine ehemalige KSS-Schülerin und einstige »Mänade«.

Thomas Pechar im Ruhestand

Schulleiterin Ursula Hebel-Zipper und Woyzeck-Darsteller Tristan Carbon dankten Thomas Pechar für seinen erneuten großen Einsatz. Der Deutsch- und Theaterlehrer ist seit Februar dieses Jahres im Ruhestand. Er hatte vor 24 Jahren »Die Mänaden« gegründet und seither geleitet. »Wir hoffen, Sie haben eine gute Zeit in der Pension und bereichern weiterhin die Welt des Theaters«, wünscht sich das Ensemble. Alle hoffen, dass sie mit Thomas Pechar an der Spitze mindestens noch das 25-jährige Bestehen der »Mänaden« im kommenden Jahr feiern können.

Lesen Sie den Artikel von Christine Fauerbach hier in der FNP vom 21.03.2024 und hier in der WZ vom 21.03.2024.

 

Zurück zur Übersicht