Rüdiger Angelstein hat das »Sommercamp« an der KSS auf die Beine gestellt. Die Schüler freut’s. © Jana Kötter
Klassenzimmer statt Freibad: In dieser Woche holen 300 Schüler im »Sommercamp« der Karbener Kurt-Schumacher-Schule den durch Corona verpassten Stoff auf.
Auf dem Schulhof herrscht geschäftiges Treiben. Hier berichtet ein Schüler von den letzten Ferienwochen, dort kommt eine Gruppe Schülerinnen mit einem »Frühstück to go« aus der Mensa. Als sie sich kurz darauf auf den Weg in die Klassenräume machen, erinnert vieles an einen ganz gewöhnlichen Schultag - und das, obwohl laut Kalenderdatum noch Sommerferien sind.
Denn während die hessischen Schulferien noch knapp zwei Wochen dauern, treffen sich in dieser Woche rund 300 Schüler zum »Sommercamp« an der Kurt-Schumacher-Schule (KSS). Die Grundidee: In einer Woche intensiven Lernens sollen Lücken aufgeholt werden, die durch den Corona-bedingten Unterrichtsausfall entstanden sind.
Corona Karben: »Schulhof-Sheriff« für Hygieneregeln
»Wir geben aber keinen klassischen Unterricht, sondern eher Workshops«, erklärt Organisator Rüdiger Angelstein, Lehrer des KSS-Hauptschulzweigs. Alternative Lernformen seien explizit gewünscht. »Eine Kollegin dreht etwa kurze Videoclips mit Playmobil-Männchen, die dann auf englisch ausgewertet werden«, sagt Angelstein.
Doch auch »klassisches« Lernen kommt nicht zu kurz: In seiner Stunde holen die sechs Schüler als erstes die Übungshefte aus den Rucksäcken und grübeln über einem Lückentext - beim Betreten des Klassenraums hatte jede die Hände gewaschen. »Ich hatte ein wenig Bauchschmerzen, dass alle die Hygieneregeln einhalten«, gibt Angelstein zu. Doch nach den ersten Tagen ist er voll des Lobes. Der eigens als »Schulhof-Sheriff« installierte Kollege hilft eher, wenn Kreide und Co fehlen, als dass er wegen »verrutschter« Masken ermahnen müsste: Während auf den Plätzen die Mund-Nasen-Masken abgenommen werden dürfen, müssen sich auf dem Schulhof alle an die neuen Regeln halten. Das Sommercamp kann als Feuerprobe für den Schulstart gesehen werden.
Neu ist die Idee nicht: Normalerweise findet ein solches Camp in den Osterferien statt - allerdings nur für versetzungsgefährdete Haupt- und Realschüler. Dass das Ostercamp wegen der Pandemie ausgefallen war, erwies sich eher als Segen denn als Fluch: Denn so wurde die Idee geöffnet für alle Schulformen der fünften bis zehnten Klassen.
Corona Karben: Ruheständler unterrichten
Auch 40 Grundschüler nehmen teil: Sie lernen zwar in den Räumen der gegenüberliegenden Pestalozzi-Grundschule, jedoch auch unter der organisatorischen Federführung von Angelstein. Die Organisation sei alles andere als einfach gewesen, erzählt er. Er habe erst einmal 40 Lehrkräfte finden müssen - gerade in »Nachfragefächern« wie Englisch nicht einfach. Seine Kollegen und er hätten vor allem persönliche Kontakte spielen lassen: Angelsteins Schwiegervater, selbst Ex-Lehrer, kehrt ebenso wie eine Handvoll andere aus dem Ruhestand zurück, um zu unterrichten; Lukas Weber, der gemeinsam mit Angelstein im Tandem unterrichtet, ist Student - und Sohn der Sozialarbeiterin.
Das Kultusministerium habe allen Schulen freigestellt, ein solches Sommercamp zu initiieren - und dafür auch »vergleichsweise gute Rahmenbedingungen« geschaffen, lobt Angelsetin. So seien die Lerngruppen klein gehalten: Im Gymnasialbereich 15 Schüler, bei den Realschulgruppen zehn, Hauptschüler sind sogar nur zu sechst - mit jeweils zwei Lehrkräften. Für Angelstein ein wichtiges Zeichen: »Gerade Hauptschüler sind in der Corona-Pandemie völlig hinten runtergefallen.« Während viel über digitales Lernen gesprochen worden sei, fehlten in deren Haushalten oft die digitalen Endgeräte oder die Motivation der Eltern. »Die Schüler sind dadurch nicht nur auf den Stand von vor Corona zurückgefallen, sondern noch Monate weiter.« Um gerade die Jugendlichen des Hauptschulzweigs zu begeistern - immerhin handelt es sich um ein freiwilliges Angebot -, habe er auf persönliche Ansprache gesetzt. »Das klappt oft sehr gut«, meint Angelstein. Viele hätten daheim auch einfach Langeweile, so dass der Schulbesuch eine willkommene Abwechslung sei.
Das beweist nicht zuletzt auch das Grinsen auf den Gesichtern der Schüler, das auch den »Workshop-Beginn« überlebt. »Mensch, seid ihr gut gelaunt«, staunt da eine Lehrerin, die auf dem Weg in ihr eigenes Klassenzimmer durchs Fenster schaut. »Wir sollten uns nicht mehr Schule nennen, sondern immer ›Sommercamp‹ bleiben.«
Lesen Sie den Originalartikel von Jana Kötter aus der Wetterauer Zeitung vom 06.08.2020 hier.
Einen weiteren Artikel zum gleichen Thema aus der FNP vom 06.08.2020 können Sie hier als PDF lesen.