Medienwissenschaftler Jörg Astheimer fordert die Eltern auf, selbst in die Welt der Apps einzutauchen – und verrät noch unbekannte Tricks.
Frankfurter Neue Presse vom 20.11.2017
Profi gibt Eltern Tipps, wie sie ihren Kindern Medienkompetenz vermitteln können
Von JANA KÖTTER Handy statt Hausaufgaben? Damit die Anrufe, WhatsApp und Facebook im Alltag nicht überhand nehmen, sind meist strenge Regeln nötig. An der Kurt-Schumacher-Schule in Karben hat Medienwissenschaftler Jörg Astheimer erklärt, wie diese aussehen können – und vor allem an die Eltern appelliert.
Ein Baby, Windeln tragend, es kann sich kaum selbstständig im Sitzen halten. Selig lächelt es im weißblauen Licht des Smartphones, tippt auf dem Display herum – und fängt herzzerreißend an zu brüllen, wenn die Mutter dem Kleinstkind das Handy aus der Hand nimmt. Als Ursula Hebel-Zipper das kurze Video zeigt, lachen einige verhalten. Viele der Eltern kennen solche Szenen auch mit ihren Kindern, auch wenn diese in der fünften und sechsten Klasse sind.
„Medienbildung ist zum absoluten Muss geworden“, betont die Rektorin der Kurt-Schumacher-Schule (KSS) die Notwendigkeit, wie sie sagt, zum Vortrag über Medienkompetenz zu laden. Auch im Schulalltag selbst: „Die technischen Errungenschaften haben uns in den vergangenen Jahren immer wieder vor neue Herausforderungen gestellt.“
Eher Ranzen vergessen
Wie diese Herausforderungen aussehen, das wissen auch die Eltern. Rund 70 Mütter, Väter und Lehrkräfte sind der Einladung in die Aula gefolgt. „Mein Sohn würde eher seinen Ranzen vergessen als sein Smartphone“, sagt der Vater eines 13-Jährigen. Eine andere Mutter berichtet von Mobbing im Klassen-Chat: Das Opfer ist der einzige Junge, der in der fünften Klasse noch kein Handy hat. Medienwissenschaftler Jörg Astheimer kennt all diese Probleme.
Er will Eltern und Lehrkräfte daher zeigen, wie sie das Aufwachsen mit der Technik begleiten und in gesunde Bahnen lenken können. Eine erste Fortbildung für Lehrkräfte der KSS hat dazu bereits stattgefunden, seit Anfang des Schuljahrs arbeitet die Schule explizit am Thema Medienkompetenz und hat dazu sogar eine einige Arbeitsgruppe ins Leben gerufen.
Laut Hebel-Zipper ist es bei dem Thema wichtig, dass Eltern und Schule „Hand in Hand“ gehen, wie er sagt. Doch gerade für die Eltern ist das kompetente Begleiten ihrer Schützlinge nicht immer einfach, weiß Medienprofi Astheimer. „Mit 13 kennen Ihre Kinder das Smartphone besser als Sie. Das ist für Sie keine einfache Situation.“ Tatsächlich bestätigt sich im Dialog mit den Zuhörern schnell, dass der deutliche Großteil der Kinder mit Eintritt in die fünfte Klasse ein eigenes Handy bekommen hat. Die beliebtesten Apps: WhatsApp, Youtube, Snapchat, aber auch Spiele wie Minecraft.
Wird diese Mediennutzung nicht begleitet, sind die Folgen oft drastisch: Stress, das Gefühl immer erreichbar sein zu müssen, Auswirkungen auf Schulnoten und Folgen für die Gesundheit. „Die Kids merken das selber und fühlen sich bereits früh gestresst“, weiß Astheimer aus zahlreichen Workshops an verschiedenen Grundschulen. Eins von zehn Kindern sei suchtgefährdet, sagt der Experte mit Verweis auf Studien.
Selbst entscheiden
Den Eltern gibt er daher konkrete Tipps an die Hand – etwa sollten Geräte wie Smartphones und Tablets niemals nachts im Kinderzimmer verfügbar sein. Bei der empfohlenen Zeit gibt es hingegen keine einfache Faustregel. Wie viel Handy am Tag gut ist, das muss letztlich aber jede Familie selbst entscheiden. Astheimers Meinung? „Wenn ich eine elfjährige Tochter hätte, würde ich am Tag nicht mehr als eine Stunde erlauben.“
Kompliziert wird es auch bei der Rolle der Eltern: Sie müssen Ansprechpartner bleiben, dürfen den Kontakt zu den Schützlingen nicht verlieren. Ziel ist eine vertrauensvolle Beziehung, in der Kinder – wenn doch mal etwas schief läuft – sich an die Eltern wenden können. Von Überwachung, etwa durch Protokollierung der besuchten Internetseiten, rät der Profi ab. Sich selber Profile in sozialen Medien anzulegen, um die Welt des eigenen Kindes verstehen zu können, sei hingegen ein sinnvoller Schritt. „Seien Sie der Co-Pilot Ihres Kindes“, rät Astheimer.
Ganz wichtig, betont er, sei die Vorbild-Funktion der Eltern. Eifrig schreiben einige von ihnen mit – und ja, einige tippen zwischendurch auch auf ihrem Smartphone. Dass beim gemeinsamen Essen das Handy Tabu ist oder im Urlaub handyfreie Zeiten eingelegt werden, sei wichtig um vorzuleben, dass man nicht immer erreichbar sein muss. Und, so fügt er noch hinzu, „fördern Sie alles, was nichts mit dem Handy zu tun hat!“ Und dann lobt Astheimer die Klänge der Schulorchester-Probe, die aus dem Nebenraum der Aula zu hören sind.