Es galt als Makel, wenn Kinder eine Sonderschule besuchten. Heute gehen viele Kinder, die eine Behinderung haben, psychisch oder in ihrem Sozialverhalten gestört sind, auf eine Regelschule. Die Eltern im Wetteraukreis haben dabei die Wahlmöglichkeit. Der Großteil der Eltern will, dass der Nachwuchs in einer Regelschule Wissen und richtiges Verhalten für die Zukunft lernt. Deshalb ist die Zahl der Sonderschüler von 660 im Schuljahr 2013/14 auf 150 gefallen. Seit fünf Jahren gibt es im Wetteraukreis beide Formen, denn der Kreis ist Modellregion für inklusive Bildung. Übrigens für ganz Hessen. Fünf Jahre hat man vielfältige Erfahrungen gesammelt. Am Montag wurde eine überwiegend positive Bilanz gezogen.
Das tat auch der hessische Kultusminister Prof. Alexander Lorz. Wenngleich er, wie mehrere Redner des Vormittags, in der voll besetzten Aula der Gesamtschule deutlich machte, dass beide Systeme weiterbestehen müssen: die inklusive Beschulung in der Regelschule und Unterricht in der Sonderschule. »Wir kommen voran, dennoch müssen wir das Förderschulsystem weiter erhalten.« Die Redner machten deutlich, dass das ein schwieriger Weg wird. Etwa Erster Kreisbeigeordneter Jan Weckler: »Es war nicht immer einfach, und es wird nicht einfacher.«
Zu wenig Personal
Dabei meinen sie in erster Linie den Schulalltag, denn vor Ort muss die Inklusion umgesetzt werden. An der Kurt-Schumacher-Schule (KSS) haben die Lehrerinnen Irina Eckhard und Christine Beck fünf der insgesamt 17 Schüler an der KSS mit besonderem Förderbedarf in ihren Klassen. Ihnen zur Seite stehen Fachkräfte der Bad Vilbeler Brunnenschule. Die ehemalige Sonderschule hat keine Schüler mehr. Deren bisherige Lehrkräfte müssen sich an den Regelschulen wie der KSS um die Schüler mit Förderbedarf kümmern. Von vier Stunden Mathe-Unterricht nähmen die Fachkräfte aber lediglich zwei Stunden teil, bedauern die Lehrerinnen. »Es wäre besser, wenn jemand die ganze Zeit dabei wäre.« Denn die Lehrerinnen stellen fest, dass es sich um sehr unterschiedliche Schüler handelte. Die beiden KSS-Lehrerinnen haben nur 17 Schüler in ihren Klassen, eine ist eine 6. Klasse Haupt- und Realschule, die andere eine 7. Klasse Hauptschule. Die Frage, ob die Schüler ohne Förderbedarf denn durch die Inklusionsschüler benachteiligt seien, verneinen sie. »Allerdings muss man sich schon darum kümmern, dass man auch andere Schüler hat«, sagt Eckhard.
Während beide im Regelunterricht noch personellen Nachholbedarf sehen, loben sie die Projektarbeit. Denn im Rahmen des inklusiven Unterrichts sind Projekte vorgesehen. In Karben heißt das »Tischkultur«: Die Unterrichtseinheiten reichen vom Einkaufen bis zum Kochen, »und bis zu den Manieren bei Tisch«, sagen Beck und Eckhard.
Probleme in der alltäglichen Arbeit benennt auch Schulleiterin Ursula Hebel-Zipper. So habe man keine Räume, wenn ein Kind mal aus dem Unterricht herausgenommen werden müsse oder konzentriert alleine irgendwo lernen müsse. Nicht ganz glücklich sei auch der Wechsel der BFZ-Kräfte. »Dadurch ist keine Teambildung möglich.« BFZ, das Kürzel steht für Beratungs-Förder-Zentren, in die die Sonderschullehrer übernommen worden sind.
Mehr psychisch kranke Kinder
In erster Linie handelt es sich laut Hebel-Zipper um Schüler mit einer emotional-sozialen Entwicklungsstörung. Diese Schüler wiesen Verhaltensauffälligkeiten auf. Manche rasteten leicht aus, einer sei schon mal »einfach abgehauen«. Hinzukommen Kinder mit einer psychischen Erkrankung. Aufhorchen ließ bei der Veranstaltung Dr. Erik Dinges vom Staatlichen Schulamt mit der Aussage, dass in den vergangenen zwei bis drei Jahren im Kreis die Zahl der psychisch gestörten Kinder von 40 auf 70 gestiegen sei. Später ergänzte Simone Schestakoff vom Fachbereich Jugend und Soziales des Wetteraukreises, dass nun eine Orientierungsklasse mit Schülern starte, die aufgrund psychischer Erkrankungen nicht oder kaum in Regelschulen beschulbar seien.